Messianismus
A: naẓarīyat al-ḫalāṣ. – E: messianism. – F: messianisme. – R: messianizm. – S: mesianismo. – C: mísàiyà zhǔyì 弥赛亚主义
Ton Veerkamp (I.), Hans-Ernst Schiller (II.)
HKWM 9/I, 2018, Spalten 657-682
Dass M den Marxismus immer wieder heimgesucht hat, ein messianisches Moment aber vom Streben nach einer Welt des Friedens, der Gerechtigkeit und der Wahrheit nicht zu trennen ist, macht die historisch-kritische Sichtung dieses Feldes zu einer Frage marxistischer Zukunftsfähigkeit.
Red.
I. Der Begriff M leitet sich vom Wort Messias her. Der Messias ist ein »Gesalbter«, hebr. maschiach, gr. χριστός. Der König in Jerusalem wird vom Gott selbst »gesalbt«, er ist »Sein Gesalbter« (Ps 2,2 u.ö.). Nach der Etablierung der Hierokratie in Jerusalem ist der Hohepriester ein Gesalbter (Lev 4,3 u.ö.). Der Messias ist also eine monarchische und priesterliche Gestalt, ausgestattet mit großer politischer Macht. Diese Macht leitet sich von Gott her, er vertritt daher die absolute Macht Gottes auf königliche bzw. hohepriesterliche Weise.
II. Ernst Bloch, Walter Benjamin, Theodor W. Adorno und mit Einschränkungen auch Max Horkheimer und Erich Fromm sind marxistische Theoretiker, bei denen der Rekurs auf messianische Motive eine wichtige Rolle spielt. Messianisten in dem Sinn, dass die innerweltlich-utopische Hoffnung einem Gottesgesandten gilt, sind sie aber nicht – auch dann nicht, wenn sich, wie bei Adorno, die Unterscheidung von historisch-immanenter und transzendenter Hoffnung verwischt. Über zwei Jahrtausende wurde die Utopie des Friedens in der Gesellschaft, zwischen den Völkern und mit der Natur in religiöser Form artikuliert. Wo die religiöse Form dieser Motive bei den genannten Autoren thematisiert wird, soll sie dem Götzendienst, d.h. einer Verabsolutierung der menschlichen Geschichte oder der politischen Praxis, die sie als Klassengeschichte beenden will, entgegentreten. Manchmal soll aber auch die transzendente Hoffnung gegen den Tod festgehalten werden, ohne sich dem traditionellen Theismus zu überantworten. Das Wunschbild einer »Befriedung des Daseins« (Marcuse 1964/1967, 36) wird aus einer theologischen, an das Eingreifen Gottes gebundenen Form gelöst.
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