Mischformation

A: taškīl muḫtalaṭ. – E: mixed formation. – F: formation mixte. – R: smešannaja formacija. – S: formación mixta. – C: hùnhé xíngtài 混合形态

Wolfgang Küttler

HKWM 9/I, 2018, Spalten 1003-1015

M erscheint im marxistischen Diskurs explizit nur in den staatssozialistischen Ländern in den Debatten der 1950er bis 80er Jahre über die vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen. Der Term war hier negativ konnotiert als Bezeichnung für Konzepte, die die Klassengesellschaften von den ersten Hochkulturen bis vor dem Kapitalismus insgesamt als eine einheitliche Formation auffassen (vgl. Lewin 1969). Darin wurde ein Verstoß gegen die im ML-Kanon fixierten Prinzipien der Periodisierung der Weltgeschichte und der Bestimmung ihrer Entwicklungsstufen als »ökonomische Gesellschaftsformationen« gesehen. Aber auch vom Standpunkt einer flexiblen »Formationsanalyse« wurde der Term wegen seiner Tendenz kritisiert, die in den Aspekten des Begriffs Gesellschaftsformation enthaltenen Kriterien der vergleichenden Erfassung konkreter Gesellschaften aufzugeben (Küttler 1980; 2001, 594f).

Das mit den Mischformen sich stellende allgemeine Problem der adäquaten geschichtsmaterialistischen Erfassung geschichtlicher Wirklichkeit beansprucht über jene Debatten hinaus unvermindertes Interesse. Es geht dabei um das grundsätzliche Verhältnis von theoretischen Aussagen zu einem geschichtlichen Prozess, der durch unaufhörliche Veränderung, Wechselwirkung und Vermischung vieler Elemente gekennzeichnet ist. Zu klären ist, wie man mit dem Widerspruch umgeht, dass ohne eine relative Stillstellung eine »Ordnung des geschichtlichen Materials« (DI, 3/27) nicht möglich ist und zugleich theoretische Arbeit nur erfolgreich sein kann, wenn sie das Denken der Veränderung in die Strukturanalyse einbezieht.

Während M etwa in der Botanik ›unreine‹ Mischformen von Vegetationstypen oder Pflanzengesellschaften bezeichnet, geht es bei M im Militärwesen und in Mannschaftssportarten um taktische Ordnungen, bei denen kein Element das andere dominiert. Mischung dient hier der Steigerung der Effizienz und ist ein positiv-klassifizierendes Merkmal. Im Marxismus hingegen dominierte zumeist – wenn auch im ML und westlichen Marxismus unterschiedlich begründet – die Annahme einer progressiven Entwicklungsrichtung, der gegenüber Vermischungen eher als Störungen begriffen wurden, wobei damit immer auch ein normativer Aspekt verbunden war. Mit der Entfernung von der Ausgangslage Mitte des 19. Jh. ergaben sich daraus immer wieder Spannungen im Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit, die dazu zwingen, auch die Theorie selbst kritisch zu überprüfen. Die Distanz schaffenden Veränderungen infolge der sich seit dem letzten Drittel des 20. Jh. vollziehenden technologischen Revolution und des Zusammenbruchs des europäischen Staatssozialismus erfordern ein solches Umdenken in besonderem Maße. Eine Relektüre der Debatten über das Problem der Mischformen verspricht hier Anregungen für eine erste Orientierung.

Artikulation/Gliederung, asiatische Produktionsweise, Begriff, bürgerliche Gesellschaft, Determinismus, Dritte Welt, Elemente der neuen Gesellschaft, Empirie/Theorie, Ende der Geschichte, Entwicklung, Eurozentrismus, Evolutionismus, Feudalismus, Feudalismus-Debatte, Formationenfolge/vorkapitalistische Gesellschaftsformationen, Formationstheorie, Geschichte, Geschichtsgesetze, Geschichtsphilosophie, Gesellschaftsformation, Historisierung, Kapitalismen, Kapitalismus, Kapitalismusentstehung, kapitalistische Produktionsweise, Marxismus-Leninismus, Marxismus Lenins, Mischwirtschaft, Neue Ökonomische Politik, Orthodoxie, Peripherie/Zentrum, Produktionsweise, Produktionsweise (antike), Regulationstheorie, Sassulitsch-Briefe, Sklaverei/Sklavenhaltergesellschaft, Spätschriften, Stalinismus, Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung, Transformation, Übergang, Übergangsgesellschaft, Übergangsperiode, ungleiche Entwicklung, Ungleichzeitigkeit, Universalgeschichte, Urgesellschaft, Vorgeschichte, vorkapitalistische Produktionsweisen, Weltsystem

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