Monetarismus, Neomonetarismus

A: al-madrasa an-naqdīya, al-madrasa an-naqdīya al-ǧadīda. – E: monetarism, neomonetarism. – F: monétarisme, néo-monétarisme. – R: monetarizm, neomonetarizm. – S: monetarismo, neomonetarismo. – C: huòbìzhǔyì, xīn huòbìzhǔyì 货币主义, 新货币主义

Lutz Brangsch

HKWM 9/II, 2024, Spalten 1289-1304

Der Terminus M – gebildet aus lat. moneta (Geld, Münze) – geht zurück auf im 15. Jh. entstehende Konzepte, mit denen versucht wird, das Verhältnis von Geld- und Warenwelt, die Bildung der Preise und die dabei entstehenden Widersprüche und Probleme zu verstehen sowie daraus Aufgaben für eine Politik zur Gewährleistung der Stabilität des Reproduktionsprozesses abzuleiten. Dieser ursprüngliche, sog. historische M bildet einen wichtigen Bezugspunkt für die Entwicklung der marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Während Marx selbst von »Monetarsystem« (z.B. K I, 23/97) spricht, wird in der Geschichte der politischen Ökonomie der Ausdruck M geläufig und in der Literatur fixiert (vgl. Geschichte der ökonomischen Lehrmeinungen, 1959/1965, 37). Darüber hinaus bezieht sich M bzw. Neo-M auf die spätere Fortführung oder Veränderung der – von Marx immer wieder kritisierten – monetaristischen Elemente im bürgerlichen ökonomischen Denken.

Generell zeichnen sich monetaristische Ansätze dadurch aus, dass sie auf die Sphäre von Tauschwert und Zirkulation fokussieren und staatliche Intervention – typischerweise beschränkt auf Geldmengensteuerung – darauf ausrichten, die Interessen des Kapitals möglichst effektiv zu schützen. Ökonomische Krisen werden nicht als strukturell kapitalistisch verursacht betrachtet, sondern als mit geeigneter Geldpolitik behebbar. Auch neomonetaristische Ansätze zielen darauf, die Stabilitätsinteressen der Kapital- und Geldbesitzer zu schützen, indem sie systematisch die Produktion des gesellschaftlichen Reichtums ausblenden. Sie treten immer dann in den Vordergrund, wenn in Krisen entweder durch Inflation die Interessen der Geldbesitzer oder durch Währungsaufwertung die Interessen des Exportkapitals bedroht werden.

Milton Friedman, Vordenker der (neo-)monetaristischen ›Konterrevolutionen‹ der 1970er Jahre, be-nutzt für sein Konzept allerdings noch den Begriff der »Quantitätstheorie«, mit dem er einen generellen Angriff auf den Keynesianismus einleitet (Friedman 1956). Erst Karl Brunner (1968) führt für diese Richtung die Bezeichnung M (in adjektivischer Form) ein (Jordan 2022, ix). In der Folge wird M im bürgerlichen Diskurs allmählich zur übergreifenden Bezeichnung für alle geldmengenbezogenen Ansätze überhaupt (vgl. Mayer 1978, 9, Fn. 1; Moser/Savioz 2022, 21). So wird M bis in die 1980er Jahre auf alle Konzepte bezogen, in denen die Bewegung bzw. Steuerung der Geldmenge als zentrales Moment des ökonomischen Kreislaufs betrachtet wird (vgl. Samuelson/Nordhaus 1987, 500), auch wenn der historische M des 15. und 16. Jh. zuweilen davon abgetrennt und unter Merkantilismus subsumiert wird. Auch in der marxistischen Diskussion wird zunächst begrifflich kein Unterschied zwischen historischem M und neoliberal orientiertem M des 20. Jh. gemacht, der wegen der besonderen Orientierung auf die Geldmenge vereinzelt auch als Neoquantitätstheorie bezeichnet wird (z.B. K.O.W.Müller 1973).

Der Ausdruck Neo-M wiederum erscheint erstmals um 1984 in der marxistischen Forschung im Zusammenhang mit Analysen der neokonservativen Politik v.a. in den USA (vgl. IPW 1984, 25). Erst 1989 begründen Manfred Braun, Günter Krause und Klaus Müller Abgrenzung und Kontinuität zwischen dem historischen M und dem M des 20. Jh. theoriegeschichtlich und etablieren für letzteren den Terminus Neo-M (vgl. 1989, 11).

Seit den 1970er Jahren erfährt die Verbindung von Neoliberalismus und Neo-M v.a. in der unter Augusto Pinochet errichteten Diktatur in Chile und mit wirtschaftspolitischen Konzepten in Großbritannien und den USA ihre konsequente praktische Realisierung. Trotz seines allgemeinen Scheiterns als Krisenstrategie leben Spielarten des M im 21. Jh. fort, z.B. im repressiven Vorgehen gegen die Überschuldung schwächerer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in der kapitalistischen Krise seit 2007.

Akkumulation, alternative Wirtschaftspolitik, Arbeitslosigkeit, Armut/Reichtum, Bank, Banknote, Börse, Fetischcharakter der Ware, fiktives Kapital, Finanzkapital, Finanzkrise, Finanzmärkte, Freihandel, Geld, Gleichgewichtstheorie, Globalisierung, Handel, Handelskapital, homo oeconomicus, Inflation, internationale politische Ökonomie, Kapital, Kapitalismus, Kasino-Kapitalismus, Keynesianismus, klassische politische Ökonomie, Konjunktur (ökonomische), Kredit, Kreditkrise, Kreislauf, Krise, Krise des Fordismus, Krisentheorien, Kritik der politischen Ökonomie, Liberalismus, Macht, Managerherrschaft, Markt, Marktwirtschaft, Merkantilismus, Monopolkapital, Nationalstaat, neoklassische politische Ökonomie, Neokonservatismus, Neoliberalismus, New Deal, Pensionsfonds, Physiokraten, politische Ökonomie, Postfordismus, Profit, Protektionismus, Reichtum, Ricardianismus, Schuldenkrise, Staat, staatsmonopolistischer Kapitalismus, Stagflation, Tauschwert, tendenzieller Fall der Profitrate, transnationaler Kapitalismus, Vulgärökonomie, Weltwirtschaft, Wert, Wertgesetz, wilder Kapitalismus, Wirtschaftskrise, Wirtschaftspolitik, Wirtschaftswachstum, Zentralbank, Zins, Zirkulation

artikel_per_email.jpg

Sitemap

This is a sitemap over all available pages ordered by namespaces.

Wiki Actions
User Actions
Submit This Story
 
InkriT Spende/Donate     Kontakt und Impressum: Berliner Institut für kritische Theorie e.V., c/o Tuguntke, Rotdornweg 7, 12205 Berlin
m/monetarismus_neomonetarismus.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/05 23:12 von christian     Nach oben
Recent changes RSS feed Powered by PHP Valid XHTML 1.0 Valid CSS Driven by DokuWiki Design by Chirripó