Fatalismus

A: al-Qadarīya. – E: fatalism. – F: fatalisme. – R: fatalizm. – S: fatalismo. – C: suminglun

Jan Rehmann

HKWM 4, 1999, Spalten 194-210

Von lat. fatum (das vom Orakel als unabwendbar Vorhergesagte, von fari, »sagen«), bezeichnet F die Vorstellung einer schicksalhaften Vorbestimmtheit des Lebens und einer prinzipiellen Unveränderlichkeit der Gesellschaft. Im allgemeinen Sprachgebrauch steht der F im Gegensatz zur Freiheit als Vermögen der assoziierten Individuen zur bewussten Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, zur Antizipation als Fähigkeit, Künftiges zielhaft ›vor‹ zu haben, zur Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensumstände und zum Glauben an ihre Veränderbarkeit. Im Unterschied zum Determinismus als einer elaborierten philosophischen Tradition zielt der Begriff vorrangig auf eine weitverbreitete resignierte Haltung popularer Klassen. Er umschreibt diejenigen Einstellungen, die dem demokratischen und sozialistischen Projekt eines aktiven, eingreifenden Handelns von unten am hartnäckigsten, nämlich auf der Seite der Unteren selbst entgegenstehen. Insbesondere Gramsci hat den F als eine Religion der Arbeiterbewegung analysiert, die durch eine Art säkularisierter Fortsetzung der theologischen Prädestinationslehre geprägt ist.

Das dem F zugrundeliegende Problem kann allgemein aus einer Situation begriffen werden, in der die veränderlichen und die unveränderlichen Aspekte des Lebens eine schwer zu entwirrende Verbindung eingegangen sind. F erklärt sich von hier aus als eine unmittelbare Antwort auf die faktische Existenz unabänderlicher Determinanten, durch deren Wirkungsmacht Neuerungen tatsächlich nicht frei – d.h. unabhängig von bestehender Produktivkraftentwicklung, Kräfteverhältnissen und Kulturstand – verfügbar oder gleichsam erfindbar sind. Seine Beschränkung liegt darin, dass er in einer gegebenen Konstellation die Wahrnehmung eines objektiv Möglichen verfehlt. Wie Lukács in GuK bemerkt, steht das einzelne Individuum der objektiven Wirklichkeit »notwendig als einem Komplex von starren Dingen gegenüber, die es fertig und unverändert vorfindet«, auf dieser Ebene bleibt die Dinghaftigkeit und mit ihr der Determinismus unaufhebbar. »Jeder Versuch, sich von hier aus zur ›Freiheit‹ durchzuschlagen, muss scheitern«. Klaus Holzkamp (1983) weist darauf hin, dass jede Auflehnung gegen bestehende Herrschaftsverhältnisse das Risiko der Existenzgefährdung mit sich bringt und daher angstbesetzt und der Verdrängung ausgesetzt ist. Rebellion und Anpassung sind unter diesen Bedingungen »keine gleich naheliegenden Alternativen«, sondern naheliegend, d.h. durch die ungünstigen Kräftekonstellationen der Klassengesellschaft und durch ihre ideologischen Mächte nahegelegt ist das Sich-Einrichten in der Abhängigkeit.

Alltagsverstand, Anatomie, anschauender Materialismus, Antizipation, Apathie, Bewußtheit, Determinismus, ehern, eingreifendes Denken, Entfremdung, Enthusiasmus, Erlösung, Fetischcharakter der Ware, Freiheit, Gandhismus, Geschichtsphilosophie, Gesetz (soziales), Gewohnheit, Glauben, Handlungsfähigkeit, Hoffnung, Irrationalismus, Objektivismus, Ökonomismus, Religion, Religionskritik, Urchristentum, verändern, Verdinglichung, Voluntarismus, Zelle

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f/fatalismus.txt · Zuletzt geändert: 2013/02/06 00:41 von christian     Nach oben
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