Kaste
A: ṭabaqa muġlaqa. – E: caste. – F: caste. – R: kasta. – S: casta. – C: chongxing 种姓
Uma Chakravarti
HKWM 7/I, 2008, Spalten 423-436
Üblicherweise wird das Kastenwesen als eine autonome Institution innerhalb der indischen Gesellschaft oder als ein System von Praktiken im Rahmen einer durch Un-/Reinheitsregeln festgelegten Statushierarchie betrachtet, ohne dabei seine Rolle bei der Stabilisierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu untersuchen. Das Verhältnis zwischen K und Klasse sowie K und Patriarchat – ebenfalls häufig verdrängt – ist zentral für die Analyse kastendurchformter Lebensverhältnisse.
Die Forschung zum indischen Kastensystem ist traditionell von Soziologen dominiert worden, die innerhalb eines indologisch-religionswissenschaftlichen, strukturalistisch-funktionalistischen oder, Louis Dumont folgend, kulturalistischen Bezugssystems arbeiten. Marxistische Theoretiker in Indien haben sich hingegen meist nicht ernsthaft mit dem Kastensystem befasst – oft wird K unter Klasse subsumiert –, und nicht wenige Theoretiker wie Aktivisten neigen dazu, es als Überbauphänomen zu betrachten, das sich mit der Transformation der Basis erübrigt, einerlei ob es sich dabei um eine durch einen revolutionären Bruch herbeigeführte Umwälzung oder die ›allmähliche‹ Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise handelt. Bezeichnenderweise ist in linken Diskursen gewöhnlich von »feudalen Überresten« die Rede. Im Hinblick auf revolutionäre Strategien wurde die Aufmerksamkeit auf die Klasse als alleinige Achse der Schichteneinteilung gelegt, was zu einem Teufelskreis von unangemessener Theorie und ungenügender Praxis führte.
Aufgebrochen wurde der Kaste-Klasse-Dualismus von französischen marxistischen Ethnosoziologen wie Maurice Godelier (1978) und Claude Meillasoux (1973), deren Arbeiten wesentlich zum Verständnis des Systems beigetragen haben. Die Arbeiten indischer marxistischer Feministinnen haben diese Forschungen durch die Verknüpfung sowohl von K als auch von Klasse mit dem Patriarchat erweitert. Das Kastenwesen ist ein komplexes System der Ausbeutung und Unterdrückung, das die indische Gesellschaft auch noch zu Beginn des 21. Jh. beherrscht.
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