Kompetenz
A: kafā’ah. – E: competence. – F: compétence. – R: kompetentnost’. – S: competencia. – C: nengli 能力
Peter Bescherer, Christian Wille (I.), Frank Jablonka (II.)
HKWM 7/II, 2010, Spalten 1375-1388
I. Der Ausdruck »K« schillert im Deutschen zwischen Fähigkeit und Befugnis, im Angelsächsischen und im Romanischen kommt Wettbewerb hinzu. Der Begriff interessiert hier als Schlagwort und bildungstheoretisches Konzept, das Antwort auf die Frage nach den erforderlichen Qualifikationen zur Beherrschung automatisierter Maschinen und Anlagen geben soll. Entsprechend kam er mit der Einführung der Mikroelektronik in den 1970er Jahren auf und eroberte in den 90er Jahren die Diskurse von beruflicher Bildung, Bildungspolitik und ›Personal- und Organisationsentwicklung‹. Er trägt in die Vorstellungen von Arbeit, Lernen und Kooperation den Gedanken hinein, dass nicht nur die Vermittlung von Wissen und Können ›von außen‹, wie sie mit den Konzepten der Ausbildung und Qualifikation verbunden sind, gebraucht wird, sondern dass es zunehmend auf die Bereitschaft und Fähigkeit der Subjekte zur Selbstorganisation von Lern- und Entwicklungsprozessen, auf die selbsttätige Anpassung ihrer Handlungsdispositionen an die Anforderungen von Arbeitstätigkeit und Arbeitsmarkt ankomme. »Im Unterschied zu Schlüsselqualifikationen« dreht es sich »nicht mehr primär darum, Fähigkeiten, die eine längere Haltbarkeit haben und zu mehr beruflicher Mobilität führen, zu entwickeln, sondern Persönlichkeitsstrukturen im Hinblick auf die Veränderungsanforderungen innerhalb des […] ökonomischen und sozialen Wandels zu bilden.« (Vonken 2005) Auch über die berufliche (Weiter-)Bildung hinaus sollen die Individuen in einem lebenslangen Prozess ›versteckte‹ Ressourcen flexibler Selbstorganisation aktivieren: z.B. Sozial-, Planungs-, Netzwerk-, Medien- und kommunikative Kompetenz entwickeln.
Der K-Diskurs ist in seiner Stoßrichtung und Institutionalisierung eng verknüpft mit der ›Beschäftigungsfähigkeit‹ (employability), einem Konzept, das »für die europäische […] Bildungspolitik die Ausrichtung der EU auf Wettbewerbsfähigkeit« konkretisiert (Kraus 2007). Mit der ›Subjektzentrierung‹ und der Orientierung auf Konkurrenzfähigkeit am Arbeitsmarkt nimmt der K-Begriff sowohl Impulse von der workfare-Orientierung des neoliberalen Politikregimes auf, etwa die individuelle Verantwortlichkeit für Beschäftigbarkeit, als auch von dem Produktivkraftschub im Übergang zur hochtechnologischen Produktionsweise, der durch steigende Anforderungen an das subjektive Arbeitsvermögen und die ›Arbeitskultur‹ gekennzeichnet ist.
II. Der linguistische K-Begriff schärft den Sinn für K als soziale Konstruktion. Grenzüberschreitende Migration von vielseitig kompetenten und häufig mehrsprachigen Individuen wird zum Massenphänomen, wobei die Ethnographie der Kommunikation das Ineinandergreifen sprachlicher und außersprachlicher, inklusive soziokultureller Wissensbestände betont. Dennoch führt in vielen Fällen Migration zu Disqualifikation: Die soziale Konstruktion von K schafft qua Definitionsmacht selektiv Inkompetenz, mithin Ausschluss von prestigeträchtigem Status und gesellschaftlichem Reichtum. Als »kompetent« gilt weitgehend, was entsprechend der Marktgesetze als fungibel angesehen werden kann. Bei diesen Dis/Qualifizierungsverfahren spielen die ideologischen Staatsapparate eine entscheidende Rolle, denn sie sorgen für die Reproduktion der anerkannten K.en und damit des herrschenden K-Begriffs.
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