Kaliban

A: kāliban. – E: Caliban. – F: Caliban. – R: Kaliban. – S: Caliban. – C: Kaliban 卡利班

Aurelio Alonso

HKWM 7/I, 2008, Spalten 17-20

Caliban (Anagramm von canibal, verwandt mit carib, »Karibik«) heißt die Gestalt des vom europäischen Herrn versklavten ›bösen‹ Wilden in Shakespeares Sturm. Der Name wurde umfunktioniert im Zeichen der Rückeroberung kultureller Identität aus kolonialer Degradation und imperialer Unterdrückung. Wie Aimé Césaires Discours sur le colonialisme (1950) oder Frantz Fanons Les damnés de la terre (1961) ist Roberto Fernández Retamars Caliban (1971) ein Manifest des Antikolonialismus. Der Essay macht Shakespeares Gestalt, Inbegriff der »entwürdigenden Darstellung, die der Kolonialherr von dem Kolonisierten gibt« (1971/1988), zum Ausgangspunkt einer subversiven Neuaneignung der lateinamerikanischen Geschichte und Kultur. Schon von seiner ersten Reise brachte Kolumbus die Kunde von den »hundsköpfigen«, menschenfressenden »canibales« mit, die dem K Pate gestanden haben (Schiffstagebuch, 4.11.1492). Der durch den europäischen, später den US-amerikanischen Kolonialismus versklavte K verkörpert, »als ewig rebellische, unzähmbare Kraft« (Gewecke 1983), zugleich das Schreckbild des revolutionären Volkes, das Ernest Renan, die Pariser Kommune vor Augen, als Warnung vor der Machtergreifung durchs ungebildete Mittelmaß ausgearbeitet hat; K triumphiert über den Aristokraten Prospero mit dem Schlachtruf: »Guerre aux livres! – A bas le latin!« (1878/1949) – Die seit den 1960er Jahren in Gang gekommene Umwertung des K ging weit über die Karibik, ja den amerikanischen Kontinent hinaus, um schließlich – mehr oder weniger nachhaltig – alle Orte an der Peripherie des transnationalen Kapitalismus zu erreichen. Fernández Retamar präsentierte eine kohärente Neulektüre von Shakespeares Metapher, die auf organische Weise mit den Wirklichkeiten und Interessen der lateinamerikanischen und karibischen Völker in ihrer Auseinandersetzung mit den Herrschenden verbunden ist. Der Text wurde rasch zum obligatorischen Bezugspunkt und stieß in den letzten 30 Jahren eine Vielzahl von Debatten an, auch außerhalb des amerikanischen Kontinents.

Akkumulation, Antikolonialismus, Bauern, Dependenztheorie, Dritte Welt, Entkolonisierung, Entwicklungsländer, Eurozentrismus, Fanonismus, Gewalt, Identität, Imperialismus, innere Bourgeoisie, innerer Kolonialismus, Kazikentum, Knechtschaft, koloniale Produktionsweise, Kolonialismus, Kompradorenklasse, Kulturimperialismus, Malinchismus, Mariateguismus, nationale Befreiung, nationale Bourgeoisie, Neokolonialismus, peripherer Kapitalismus, Peripherie/Zentrum, Rassismus, Sklaverei, subversiv, ungleiche Entwicklung, Unterentwicklung, ursprüngliche Akkumulation, vorkapitalistische Produktionsweisen

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