Kazikentum
A: katsīk. – E: caciquism, bossism. – F: caciquisme. – R: kacikizm. – S: caciquismo. – C: touling de zhipei 头领的支配
Stefan Schmalz
HKWM 7/I, 2008, Spalten 549-553
K bezeichnet einen Herrschaftstypus, bei dem ein auf Grund seiner ökonomischen und ›kulturellen‹ Macht einflussreicher Lokalherr eine Doppelfunktion ausübt: Einerseits ist er von unten getragen (bzw. seine Macht lokal verankert), zugleich aber fungiert er als Statthalter einer Zentralmacht. Indem er am Kreuzungspunkt lokaler und nationaler bzw. globaler Interessen agiert, sorgt er für sich und seine Klientel, muss aber auch in der Lage sein, die Belange der Zentrale gegen die eigene Basis zu vertreten. Er ist der Repräsentant eines ›Imperiums‹ – des spanischen Königs gegenüber der mexikanischen Gemeinde oder auch des spanischen Zentralstaats gegenüber den Provinzen. Er fungiert als intermediäre Relaisstation nationaler bzw. imperialer Herrschaft und sorgt für den Konsens der Subalternen ›vor Ort‹, dem er im Zweifelsfall mit Gewalt Nachdruck verschafft. So ist er nicht nur der ›Ortsgewaltige‹, in dessen Wirkungskreis die Schutzbefohlenen eine ›von oben‹ autorisierte Handlungsfähigkeit erlangen, sondern auch der »dem Staat und der ideologischen Superstruktur Verpflichtete« (Castillo Berthier 1983), der selbst wiederum auf das Wohlwollen seiner eigenen Herren angewiesen ist.
Ob zwischen traditionaler Stammesgemeinschaft und dem handelskapitalistischen spanischen Kolonialreich, ob zwischen mexikanischen Minifundien und der industriekapitalistischen Produktionsweise oder zwischen urbanen Subsistenzformen und dem transnationalen High-Tech-Kapitalismus – der Kazike organisiert die Artikulation verschiedener Produktionsweisen: »Was wir in Mexiko K nennen, ist eine Form der politischen Kontrolle in ländlichen Zonen, die für eine Periode charakteristisch ist, in welcher der Kapitalismus nicht-kapitalistische Produktionsweisen durchdringt.« (Paré 1976) Das K trägt demnach nicht nur zur Stabilität der imperialen Herrschaft bei, sondern ist auch Bestandteil der »Reproduktion der kapitalistischen Produktionsweise in einer Gesellschaftsformation, in der sie ›Fuß fasst‹« (Poulantzas 1973/2001). Dieser Prozess ist mit der Herausbildung von räumlichen Abhängigkeitsbeziehungen verbunden. Der Kazike als scheinbarer Fürsprecher der regionalen sozialen Basis ist Symptom wie Stütze ungleicher Entwicklung zwischen Zentrum und Peripherie.
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