Industriegesellschaft
A: al-muǧtamaʽ aṣ-ṣināʽī. – E: industrial society. – F: société industrielle. – R: industriaľnoe obščestvo. – S: sociedad industrial. – C: gōngyè shèhuì 工业社会
Mathias Wiards
HKWM 6/II, 2004, Spalten 982-997
Mit dem Terminus I werden Gesellschaften benannt, deren Reproduktion in erster Linie auf industrieller Arbeit beruht, worunter seit Mitte des 19. Jh. fabrikmäßig organisierte maschinelle Arbeit verstanden wird. In Theoremen der I werden die Kennzeichen industriell produzierender Gesellschaften implizit oder explizit aus der technischen Gestalt der Produktion abgeleitet. Dabei wird die Ökonomie als gesellschaftlich ›neutrale‹ Sphäre dargestellt, in die das Politische von außen hineinwirke, oder das Gesellschaftlich-Politische erscheint als durch ›sachliche‹ Bedingungen determiniert. Dem liegt die in der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre herrschende Vorstellung zu Grunde, Zweck allen Wirtschaftens sei es, ein überhistorisches »Knappheitsproblem« zu bewältigen. Daran gemessen unterscheiden sich die einzelnen Gesellschaften nur hinsichtlich der hierfür verfügbaren (organisatorischen und technischen) Mittel. Damit fällt der I-Diskurs hinter einen Erkenntnisstand zurück, wie ihn Marx in seinen Analysen der kapitalistischen Ökonomie und ihres Verhältnisses zur bürgerlichen Vergesellschaftung entwickelt hat. Es überrascht daher nicht, dass sich der Terminus I zu einer Zeit durchgesetzt hat, als mit dem (ebenfalls industriell produzierenden) Staatssozialismus die kapitalistische Gesellschaft in Frage gestellt wurde. Der Ausdruck war und ist Teil des Versuchs, mittels Universalisierung der Kennzeichen »moderner« Gesellschaften eine generelle Kritik am Kapitalismus und eine über diesen hinausweisende Perspektive als obsolet zu erweisen.
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