Hedonismus
A: maḏhab al-laḏḏa. – E: hedonism. – F: hédonisme. – R: gedonizm. – S: hedonismo. – C: xiangle zhuyi 享乐主义
Fritz Keller
HKWM 5, 2001, Spalten 1224-1232
Der Begriff H ist aus gr. ἡδονή (›Lust‹, manchmal domestizierend als »Freude« übersetzt, so bei Kruse 1990; von ἡδύς, ›süß‹) gebildet und meint eine philosophische Lehre, die »das Erreichen von einem Höchstmaß an Freude [Lust!] für das wichtigste Lebensziel« erklärt (Kruse 1990). Einer »Affinität von H und geschichtlicher Parteinahme« (Horkheimer 1963b) steht die Feststellung einer »Aporie materialistischer Ethik« gegenüber: »die in unmittelbaren hedonistischen Vorstellungen befangenen Menschen sind zu kritisieren, weil sie die Folgekosten ihres Genusses nicht reflektieren; und zugleich ist der Anspruch der Individuen auf Lust und Glückseligkeit als berechtigt anzuerkennen, obwohl heute dieser Anspruch – wenn überhaupt – in der Regel nur auf Kosten anderer realisierbar ist« (Gassmann 1990).
Auf Demokrit (ca. 460 bis ca. 370), der »lachende Philosoph« und philosophierende Demokrat, von dem Diogenes Laertius sagt, Platon habe seine Schriften verbrennen wollen, und der merkwürdigerweise, obwohl zehn Jahre nach Sokrates geboren, als »Vorsokratiker « gilt, geht der Grundsatz zurück: »Die Grenze zwischen Zuträglichem und Abträglichem ist Lust (τέρψις, von τέρπω, »sättigen, laben, ergötzen«) und Unlust.« (Frg 188) Als das Beste für den Menschen erklärt er, »sein Leben soviel wie möglich wohlgemut und so wenig wie möglich missmutig zu verbringen. Dies wird aber dann der Fall sein, wenn er seine Lust nicht auf das Sterbliche richtet.« (Frg 189) Obwohl Lust somit von Grund auf gut ist, verweist ihre glückliche Nutzung auf bestimmte Objektwahl und Maßverhältnisse. Zielvorstellung ist die euthymie, die »Wohlgestimmtheit«, die der gewöhnlich mit »Glück« übersetzten aristotelischen eudaimonia entspricht. Für Demokrit bildet ein politisch tätiges Leben auf Grundlage der Verfügung über fremde Arbeit (»Gebrauche dein Hausgesinde wie Teile des Leibes, den einen zu dieser, den anderen zu jener Tätigkeit«; …) den einzig denkbaren Rahmen eines solchen Glücksstrebens. – Durch die von Platon »und seiner immer noch lebendigen Brut« (Althusser) geprägte Philosophiegeschichtsschreibung wurde Sokrates die praktisch-ethische Wendung in der Philosophie zugeschrieben, und »Demokrits überragende Leistung geriet in Vergessenheit: die Entdeckung und Begründung einer philosophischen Ethik« (Damschen 1996).
Zum H wird das Streben nach Lust, zum Eudämonismus das nach Glück in dem Maße, in dem es sich aus der Einbettung in gesellschaftliche Tätigkeit herauslöst und verselbständigt.
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