Autorität

A: sulṭān, sulṭa. – E: authority. – F: autorité. – R: avtoritet. – S: autoridad. – C: quanwei

Frieder Otto Wolf

HKWM 1, 1994, Spalten 784-800

Das Problem der A – im Doppelsinn eines anzuerkennenden Grundes für die Unterstellung unter einen fremden Willen und einer verselbständigten Struktur der Unterwerfung einer Gemeinschaft von Individuen unter eine zentrale Leitung ist von Marx und Engels in der Entwicklung ihres Denkens immer wieder angesprochen, aber niemals umfassend kritisch aufgearbeitet worden. Dadurch verschränkt sich in unterschiedlicher Weise ein von der Aufklärung ererbtes Verständnis von A als ein Moment der Unmündigkeit mit der aus der Analyse des industriellen Produktionsprozesses gewonnenen These von der produktiven Funktion klarer Leitungsstrukturen. Das in der Aufklärung noch zentrale Problem der theoretischen Autoritäten, der Herausbildung von autoritativen Instanzen und der Argumentation mittels Zitaten wird innerhalb der marxistischen Tradition kaum je ausdrücklich unter dieser Kategorie bearbeitet.

In der noch radikaldemokratisch-revolutionären KHS spricht Marx die »A« an als das für die »Bürokratie«, die er damals als den Gipfel der illusionären Verselbständigung der Politik (…) begreift, prägende »Prinzip ihres Wissens«. Zu dieser theoretischen A als »imaginärem Wissen« steht die »wirkliche Wissenschaft« ebenso im Gegensatz wie die praktische bürokratische Gesinnung der »Vergötterung der A« zum wirklichen »Staatswesen«, dem »spirituellen Wesen der Gesellschaft« (…). Diese frühe Form der marxschen A-Kritik verknüpft das Motiv einer Autonomie des selbstdenkenden, kritischen Subjektes (vgl. Hannah Arendts darauf gegründete Marxinterpretation, 1982) in klassisch aufklärerischer Weise mit dem einer Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft von der fürstlichen Regierungsgewalt.

Bei dieser Problematik ist Marx nicht stehen geblieben, ohne sie deshalb aufzugeben. Die Erfordernisse konkreter politischer Auseinandersetzung haben ihn – und auch Engels – mehrfach dazu gezwungen, einzelne Aspekte insbesondere der Rolle der A innerhalb der politischen Praxis genauer zu analysieren. Dabei geht es immer wieder darum, die Bedingungen einer gemeinsamen Handlungsfähigkeit der beherrschten Klassen unter den Bedingungen von kapitalistischer Konkurrenz und von fabrikmäßiger Organisation der Produktion herauszuarbeiten.

In der späteren Geschichte des Marxismus wird die Problematik der A verdrängt bzw. affirmativ gewendet (vgl. »A«, in: Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie, 2.A., 1978). In ihrer Bearbeitung geht es daher auch um das ›Ungedachte‹ des marxistischen Begreifens politischer Praxis.

Anarchismus, Anarchosyndikalismus, antiautoritäre Bewegung, Assoziation, Aufklärung, Bürokratie, Charisma/charismatische Führung, Demokratie/Diktatur des Proletariats, demokratischer Zentralismus, Disziplin, Emanzipation, Etatismus, Fabrik, Führung, Handlungsfähigkeit, Herrschaft, Irrationalismus, Jakobinismus, Kritische Theorie, Leitung, Macht, Operaismus, Pariser Kommune, Staatsmacht, Studentenbewegung, Subalternität, Totalitarismus, Unterwerfung, Zweifel

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