jugoslawischer Sozialismus
A: al-ʼištirākīya al-yuġuslāfīya. – E: Jugoslavian socialism. – F: socialisme yougoslave. – R: jugoslavskij socializm. – S: socialismo yugoslavo. – C: Nánsīlāfū shèhuìzhǔyì 南斯拉夫 社会主义
Catherine Samary (SS)
HKWM 6/II, 2004, Spalten 1709-1725
Das nach seinem Führer Josip Broz Tito benannte titoistische Jugoslawien wurde oft als ›dritter Weg‹ beschrieben, als ein Land, das sowohl die kapitalistischen Lohnarbeitsverhältnisse als auch das sowjetische Modell der ›befehlswirtschaftlichen‹ Zentralplanung und staatlich verwaltete Eigentumsverhältnisse ablehnte. Die jugoslawische Führung versuchte, die Besonderheit ihres ›Selbstverwaltungssozialismus‹ auf internationaler Ebene innerhalb der Bewegung der blockfreien Staaten zu konsolidieren; dadurch sollte der Handlungsspielraum gegenüber den Großmächten bzw. entgegen der Logik des ›Lagerdenkens‹ vergrößert werden. Der Bruch zwischen Tito und Stalin 1948 begünstigte zudem die Entwicklung eines kritisch-marxistischen Denkens innerhalb des ›Realsozialismus‹ (auch des jugoslawischen), manifestiert in der Zeitschrift Praxis, die in den 1960er Jahren international zur Entstehung einer ›Neuen Linken‹ beitrug.
Dennoch teilte die jugoslawische Föderation das Schicksal der allgemeinen Krise, das den sich als sozialistisch verstehenden Gesellschaften in den 1980er Jahren widerfuhr. Obwohl das jugoslawische Regime im Inneren wesentlich offener war, verlief der Zerfall äußerst gewaltsam, ohne dass sich eine glaubwürdige sozialistische Alternative abzeichnete. Das jugoslawische Erbe droht begraben zu werden, ehe dessen Erfahrungen für die Neubegründung eines sozialistischen Projekts aufgearbeitet sind.
Zu fragen ist 1. nach der Genese und den Charakteristika dieses Regimes sowie nach den Reformen, die dieses im Kampf für nationale und soziale Befreiung im Konflikt mit der stalinistischen UdSSR eingeführt hat; 2. nach dem schließlichen Zerfall des titoistischen Jugoslawien, das trotz einer praxisphilosophischen Erneuerungsbewegung marxistischen Denkens in den 1960er Jahren keine glaubwürdige sozialistische Alternative angesichts der Krise entwickeln konnte. Es wird darum gehen, interne sowie internationale Gründe des Zerfalls im Laufe der Jahre 1980-90 zu benennen (vgl. Samary 1994, 1995 u. 1998; Dérens/Samary 2003), im Vergleich zu den Bedingungen seines Erfolgs in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.
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